Lipödem bald Kassenleistung?

Lipödem bald Kassenleistung?

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Warum Millionen von Frauen bald aufatmen könnten

Etwa drei Millionen Frauen in Deutschland leiden unter einer schmerzhaften, chronischen Fettverteilungsstörung (Lipödem).

Das Fatale: die Erkrankung wird oft als bloßes Übergewicht abgetan. Gesunde Ernährung und Sport bieten allerdings keine Abhilfe. Nur eine Fettabsaugung (Liposuktion) kann Betroffenen wirklich helfen. Trotz der medizinischen Notwendigkeit, sträuben sich die Krankenkassen bislang vor der Kostenübernahme für diese Therapie. Das könnte sich bald ändern, denn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will sich künftig dafür stark machen, dass die Fettabsaugung bei Lipödem zur Kassenleistung wird.

Warum eine Behandlung für Betroffene so wichtig ist und wie diese abläuft, erklärt Dr. Jens Altmann, Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie und leitender Arzt der Bodenseeklinik im Gespräch.

Experteninterview zum Thema Lipödem

Dr. Jens Altmann ist leitender Arzt der Bodenseeklinik und Facharzt für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, und spezialisiert auf Brustchirurgie und Fettabsaugungen sowie auf Körperstraffungsoperationen.

Herr Dr. Altmann können Sie uns erklären, was genau Lipödeme sind?

Dr. Jens Altmann: „Das Lipödem ist eine krankhafte Fettverteilungsstörung, die überwiegend in den Ober- und Unterschenkeln, dem Gesäß- und Hüftbereich sowie an den Innenseiten der Kniegelenke und an den Oberarmen auftritt. Es kommt zu Wassereinlagerungen und einem erhöhten Fettgewebe-Anteil an den betroffenen Stellen. Wird die Erkrankung nicht fachärztlich behandelt, kann sich das Lipödem zu einem Lymphödem entwickeln. Das bedeutet, dass das Lymphsystem keine Flüssigkeit mehr absondern kann.

Da fast ausschließlich Frauen zu den Betroffenen zählen, geht die Wissenschaft von einer hormonellen Ursache aus – belegt ist dies aber noch nicht.

In jedem Fall sind Lipödeme keine ‚klassischen‘ Fettpolster, die durch Übergewicht entstanden sind. Ganz im Gegenteil zeichnen sie sich durch Diätresistenz aus.“

Was sind typische Symptome der Erkrankung?

Dr. Jens Altmann: „Anzeichen können Spannungsgefühle und Druck- und Schmerzempfinden an den betroffenen Stellen sein. Dazu gehören auch die Neigung zu verstärkten Schwellungen an Beinen und Armen, sowie eine erhöhte Anfälligkeit für Blutergüsse.

Außerdem treten Lipödeme immer symmetrisch auf, also sind grundsätzlich beide Beine bzw. Arme betroffen.

Die Symptome können bei jedem aber unterschiedlich auftreten. Wenn der Verdacht auf Lipödem besteht, rate ich dazu, sich von einem erfahrenen Arzt untersuchen zu lassen.“

Man hört immer wieder von dem großen Leidensdruck der Erkrankten. Wie äußert sich dieser genau?

Dr. Jens Altmann: „Die Betroffenen leiden unter Spannungsgefühl und Schmerzen in den entsprechenden Körperregionen. Beispielsweise die Beine können sich – nach langem Stehen oder Gehen – sehr schwer anfühlen. Hinzu kommen in der Regel Berührungs- und Druckschmerzen.

Da es sich um eine fortschreitende Erkrankung handelt, nehmen bei Nicht-Behandlung die Beschwerden zu und es kann sich ein fortgeschrittenes Lipödem mit großen Fettgewebsvermehrungen entwickeln. In späteren Krankheitsstadien können die Schmerzen so ausgeprägt sein, dass Betroffene sich nur noch wenig bewegen können und im Alltag stark eingeschränkt sind.

Die Frauen leiden aber nicht nur unter dem körperlichen ‚Ballast‘, denn auch die einhergehende psychische Belastung ist nicht zu unterschätzen. In der Regel fühlen sich die Erkrankten nicht mehr wohl in ihrem Körper, (auch wenn sie nichts für ihre Erkrankung können). Dies kann auch die Entwicklung von Ängsten und Depressionen zur Folge haben.“

Wie stehen Sie zu dem Vorhaben von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn?

Dr. Jens Altmann: „Ich wünsche mir, dass die Krankenkassen die Dringlichkeit der Behandlung anerkennen. Ein Großteil der Betroffenen kann sich eine Liposuktion finanziell nicht leisten, aber der Leidensdruck ist so hoch, dass eine Behandlung zwingend notwendig ist.

Vor allem da nicht-operative Behandlungsmethoden wie die ‚Komplexe Physikalische Entstauungstherapie‘ oder das Tragen von Kompressionsstrümpfen hauptsächlich der Weiterentwicklung des Lipödems entgegenwirken. Der Grund dafür, dass die Behandlung bisher keine Kassenleistung ist, liegt vermutlich darin, dass die Krankenkassen Angst vor Ausnutzung dieser Leistung haben. Daher ist es zwingend ratsam, dass ein erfahrener Facharzt die Erkrankung diagnostiziert, sodass tatsächlich nur Menschen von dieser Kassenleistung profitieren können, die wirklich an einem Lipödem leiden.“

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